ralferly hat geschrieben:Da hier an etlichen Stellen mit unpassenden Vergleichen gearbeitet wurde, würde ich gern einmal den Demozid in China, welcher sich in der Zeit des Nanking-Massakers und in der Folgezeit des Japanisch-Chinesischen Krieges abspielte, durchleuchten. Und da sagt zum Beispiel die Aufstellung R.J. Rummels, dass rund 4 Millionen Zivilisten durch Japaner und deren Helfeshelfer in China getötet wurden, diese Zahl aber durch mehr als 6 Millionen zivilen Toten
durch Chinesen selbst (Nationalisten und Kommunisten) durchweg noch in den Schatten gestellt wird. (
Link) Dies soll und kann natürlich nicht Unrecht relativeren oder aufwiegen, schließlich sprechen wir hier von zwei (oder gar mehreren) Verbrechen in Dimensionen des Holocausts, aber wenn man von Ablenkungsmanövern spricht, sollte man schon auch die andere Seite der Medaille an der Geschichte kennen und diese, sprich den Bürgerkrieg ebenso einzugestehen.
Und genau das schein mir das Problem zu sein. Solange die eigene Geschichte nur unwillig im breiten Grade aufgearbeitet wird und im Gegenzug viel irrationale Mühe in die Erhaltung eines Feindbildes investiert wird, wird es die VR China sein, die sich die Stiefel mit der Aufschrift "Ablenkungsmanöver" gezwungenermaßen anzieht...
Ich glaube, ich muss noch mal auf das erste - gleichzeitig von mir stammende - Posting dieses Threads zurückkommen:
Ich war sehr davon angetan, dass anlässlich des 70. Jahrestages des Massakers von Nanking 1937 "ausgerechnet" ein
"Kirschblüten statt Massaker" betitelter
taz-Artikel erschien, der von einer Annäherung Chinas und Japans auf Regierungsebene zu berichten wusste.
Der Ausgangspunkt dieses Threads war also, dass, um realpolitisch in den bilateralen Dialog einzutreten, der "chinesische Finger"
nicht in die offene "japanische Wunde" gelegt wurde...
Umso mehr verstimmt mich andererseits eine Diskussion, die die Tendenz hat, das Wachhalten von japanischen Kriegsverbrechen im chinesischen Kollektivgedächtnis als "Ablenkungsmanöver" zu diskreditieren.
Ein solcher Vorwurf hat meines Erachtens so lange keine Berechtigung, wie der Mainstream des japanischen Geschichtsbewußtseins die Kriegsverbrechen des eigenen Landes zu einem Tabuthema erklärt und eine ebenso konservative wie symbolträchtige Politik genau dies noch befördert.
Im Übrigen halte ich die "Ablenkungsmanöver"-Debatte aus zwei weiteren Gründen für nicht zielführend, um es einmal euphemistisch auszudrücken. Ich halte bereits den Ansatz, dass China, indem es das Unrecht der Japaner anprangere, vom eigenen Unrecht ablenke, für verzerrend. Und zwar aus folgenden Gründen:
Zum einen ist es - wie ralferly selbst feststellt -
absolut unzulässig, verschiedene Verbrechen gegeneinander aufzurechnen (mit dem Hintergedanken, sie dadurch zu relativieren). Mit anderen Worten: Die Kritik Chinas an den japanischen Kriegsverbrechen verliert nicht deshalb an Berechtigung und Gewicht, weil auch unter Mao und Chiang Kai-shek Millionen von Menschen ihr Leben verloren haben.
Zum anderen implizieren die Worte "Ablenkungsmanöver" und - in noch stärkerem Maße - "Kehrseite der Medaille", dass durch die eigene Kritik am Unrecht des Anderen vom eigenen Unrecht am Anderen abgelenkt werden soll. So liegt hier aber der Fall nicht, da ja die Chinesen durch ihre Kritik am offiziellen japanischen Gedenken an Kriegsgefallene wie Kriegsverbrecher gleichermaßen nicht von eigenem gegen Japaner begangenes Unrecht ablenken, sondern allenfalls diese Kritik über die regierungsamtlich gleichgeschaltete Presse dazu benutzen, von eigenem gegen das eigene Volk begangenes Unrecht abzulenken.
Dass natürlich die chinesische Geschichtswissenschaft nicht frei von politischer Zensur ist und daher eine die Aufarbeitung der eigenen Geschichte bzgl. bestimmter Themengebiete ebenfalls einer wissenschaftsfeindlichen Tabuisierung unterliegt, ist ein großes Manko. Aber dies kann - dies sei wiederholt - nicht dazu führen, der Kritik an der Unzulänglichkeit des japanischen Geschichtsbildes die Spitze zu nehmen.
Und schon gar nicht will mir in diesem Zusammenhang die Forderung (a la no1gizmo) einleuchten, unter die Vergangenheit ("endlich") einen Schlussstrich zu ziehen, denn bevor ein Schlussstrich gezogen werden kann, muss zunächst ja erst einmal eine Aufklärung und Aufarbeitung der Geschichte erfolgt sein.
Dies heißt allerdings im Umkehrschluss nicht, dass deshalb eine Verständigung zwischen den Völkern unmöglich würde. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Erst durch eine ernsthafte Auseinandersetzung mit und Aufarbeitung der eigenen Geschichte erwirbt man sich im Ausland und unter Umständen sogar selbst bei den Opfern wieder Respekt und Ansehen, die im weiteren zu einer Verständigung auf gleicher Augenhöhe führen kann.
Und um zum Ausgangspunkt dieses Threads zurückzukommen. Ich fand es in diesem Zusammenhang (und für das chinesisch-japanische Verhältnis) sehr ermutigend, dass der
taz-Artikel von Umfrageergebnissen berichtete, denen zufolge weder die Chinesen noch die Japaner die Bevölkerung des anderen Landes als erstes mit Krieg und Leid in Verbindung bringen.
Jens David,
der bestätigen kann, dass das (auch heute noch offiziell) in China propagierte "Feindbild Japan" bisweilen kuriose Blüten treibt...