sweetpanda hat geschrieben: ↑15.05.2022, 09:58
Russland kann inneren und äußeren Frieden finden, wenn die gesamte russische Bevölkerung den gleichen Reinigungsprozess durchmacht wie wir nach dem 2. Weltkrieg. Große Teile ihres nationalen Mythos gehören auf den Friedhof, jeder Russe muss Einsehen, dass Russland ein imperialistische Drecksstaat war und jeder Einzelne über Generationen Schuld und Verantwortung auf seinen Schultern trägt.
Es muss Spielfilme über das russische Gulagsystem geben, die genauso aufwühlend sind wie Schindlers Liste die deutlich machen wie tief verstrickt die gesamte russische Gesellschaft in großer Tiefe war und wieder ist.
Hierzu meine völlige Zustimmung.
Während es in Deutschland mit einer Erinnerungskultur halbwegs gelang, eine realistische Einordnung der Nazidiktatur zu erreichen, Schuld und Verantwortung zu übernehmen, ist Russland inzwischen wieder sehr weit entfernt davon. Allerdings hat Russland auch niemand geholfen.
Man muss dazu sagen, dass (West-) Deutschland - Gott sei Dank - 1945 die Aliierten hatte, die sich 3 Jahre lang um Recht und Ordnung kümmerten und auch eine erste Aufarbeitung der Naziverbrechen - vor aller Augen - vornahmen. Dies drängte den Einfluss der gebildeten und vermögenden Familien (die es in jeder Nation gibt) zurück, die sofort versuchten, wieder politischen Boden zu gewinnen.
Für viele war danach Hitler das, was er war: Ein Tyrann, Kriegsverbrecher und Diktator, ein Massenmörder, ein Größenwahnsinniger, der einen Terrorstaat führte.
Und: Das 1948 beginnende und bis 1973 laufende "Wirtschaftswunder" hat sicherlich die rechtstaatlichen, demokratischen Strukturen gefestigt.
Zwar war die junge Bundesrepublik noch sehr korrupt und von Nazis unterwandert - wie könnte es auch anders sein - und einige der herrschenden Familien kamen sehr schnell wieder zu Einfluss (etwa der extrem milde, zu nur 7 Jahren Haft - wegen seine Naziverbrechen - verurteilte Friedrich Flick, der nach 2 Jahren "begnadigt" - bereits Mitte der 50er Jahre wieder 100 Firmen besaß und der erste DM-Milliardär war. Er - wie auch seine mitangeklagte Führungsriege - wurden selbstverständlich später mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Schwamm drüber.
Ganz anders in der "Russischen Förderation".
Als 1991 endlich das Terrorsystem der UdSSR endgültig zusammenbrach und sich die GUS bildete (Gemeinschaft unabhängiger Staaten), einte diese Staaten mit der "Russischen Förderation" zumindest eines: Der
Hass auf das System der UdSSR (und hier darf man diesen Begriff benutzen), auf den Massenmörder Stalin und die Schlächter, die ihm nachfolgten, auf die Gulags und Arbeitslager, in denen bis zu 32 Millionen Menschen kostenfrei Zwangsarbeit für herrschende Familien und die "Partei" erbrachten, auf die Unterdrückung und den Terror. Die politische Klasse hatte das Land nach allen Regeln der Inkompetenz zugrunde gerichtet, auch wirtschaftlich.
Folgerichtig gab sich die Russische Förderation eine neue Verfassung, in der die sogenannte
"Kommunistische Partei der Sowjetunion (KPdSU)" verfassungsrechtlich verboten wurde, die rechtstaatliche Prinzipien und Demokratie sowie weitgehende Bürgerrechte - bis heute - vorsieht.
Man kann sich für China nur das gleiche wünschen. Die CN Verfassung von 1978 umfasst ja bereits vieles an rechtstaatlichen Prinzipien und weitgehenden Bürgerrechten. Die
verfassungsfeindlichen CN Regierungen müssen dazu gebracht werden, ihre
verfassungsbrechenden Aktivitäten einzustellen, was wohl nur mit einem Verbot der Partei der Milliardäre erreichbar ist.
Die wirtschaftliche Entwicklung der Russischen Föderation (Russland) ab 1991 war natürlich schwierig, das Land war in einem desolaten Zustand, keine wettbewerbsfähige Industrie, hohe Arbeitslosigkeit, Versorgungsnöte. Diese "postkommunistischen Transformationskrise" wurde dann ungebremst von den herrschen Familien genutzt, ihre Wirtschaftsimperien über Korruption und politischen Einfluss wieder aufzubauen.
Anfang der 2000er Jahre kann man bereits nicht mehr von einer funktionierenden Demokratie sprechen, wenige Jahre später war eine Diktatur faktisch wiederhergestellt, was man heute freundlich "Autokratie" oder - für Russland passender - Kleptokratie nennt.
Hätte der "Westen" in den 1990er Jahren erkannt, welche Chance sich auftut und Russland auf dem Weg in einen rechtstaatlichen, demokratischen Sozialstaat unterstützt, wären die Fehlentwicklungen möglicherweise verhindert worden.
So aber wurden die UdSSR und ihre 70 Jahre währenden Verbrechen nicht aufgearbeitet. Es fanden kaum Strafprozesse statt. Schnell etablierte sich wieder eine Propaganda, welche die "alten Zeiten" glorifizierte, der Imperialismus war nie tot. Dies betraf auch die GUS Staaten, wie ich aus eigener Erfahrung aus den 2000er Jahren berichten kann. Während es in der Bundesrepublik lange Zeit gelang, Neonazis an den gesellschaftlichen Rand zu drängen, gewannen die herrschenden Familien der "Sowjetunion" schnell wieder an Einfluss, was sicher daran lag, dass diese über Produktionsmittel, Kapital und Märkte verfügten, sprich Beschäftigung anbieten konnten. Das neue politische System wurde als "unfähig und korrupt" von diesen verurteilt.
Anders als Chinesen, konnten sich Russen noch bis vor wenigen Wochen frei in Medien und im Internet über die kriegerischen Aktivitäten des eigenen Landes aus den letzten 20 Jahren informieren. Sie feierten die völkerrechtswidrige Annexion der Krim.
Und auch heute steht - nach mehr oder weniger zuverlässigen Umfragen - die russische Bevölkerung mehrheitlich hinter Putin und seinen Kriegen.
Insoweit hat sweetpanda völlig Recht, dass in Russland das Bewusstsein, dass Millionen der eigenen Bürger an den Verbrechen des UdSSR Regimes mitwirkten und zu ihrem Vorteil nutzten, nicht sehr verbreitet ist.
Verdrängen ist keine Aufarbeitung.
Ähnliches gilt für China, welches über die Mao Zeit nur noch Märchenerzählungen anzubieten hat, das Tian’anmen-Massaker völlig aus dem kollektiven Gedächtnis gedrängt hat, Geschichtsbücher fälscht, das Gedenken unter Strafe stellt und in Hong Kong sämtliche Hinweise und Gedenkstätten beseitigen ließ.