Mao immer noch ein Thema in China?

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Volker

Mao immer noch ein Thema in China?

Beitrag von Volker »

Hallo,
ich habe heute einen Artikel gelesen, in dem der Personenkult um Mao in China beschrieben wird. Ich interessiere mich zwar für China, war aber noch nie dort. Ist das heute wirklich noch so, überall Mao Statuen und Bilder? Ich habe gedacht, China wäre nur noch so formal kommunistisch, es heist ja immer, dass die Chinesen die besten Kapitalisten seien. Wer war schon mal in China und kann etwas über seine Eindrücke sagen?
Oder ist das nur die Regierung, die einen auf Mao macht?
Danke für Beiträge
Volker
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Mao immer noch ein Thema

Beitrag von admin »

Hallo Volker,

Um Mao wird zwar nicht mehr so ein kritikloser Personenkult betrieben wie vor 30 Jahren, allerdings sieht man immer noch in jeder größeren Stadt Mao-Statuen. Die RMB-Scheine wurden auch erst mit dem Mao-Kopf bedruckt.
Mag sein, dass es stimmt, wenn man sagt, Chinesen wären gute Kapitalisten. Es scheint so, als wolle die chinesische Regierung gerade beweisen, dass der Sozialismus (politisches System) und die Marktwirtschaft doch zusammenpassen, während im Westen meistens die Theorie vertreten wirde, dass das nicht funktioniernen kann.
Gruß
kim
Martin

Re: Mao immer noch ein Thema

Beitrag von Martin »

Hallo Volker,

zuersteinmal: der Kult um Mao bzw. die Verehrung ist in China sehr unterschiedlich und in manchen Städten ist sie stark, in anderen kaum vorhanden. Im Norden oder ehemals von Japan besetzten Gebieten z.B. herrscht noch eine relativ große Mao-Verehrung. Da findet man noch häufiger Embleme in Taxis oder Familien. In Shanghai z.B. merkt man fast nichts von einem Einfluss von Mao in der normalen Bevölkerung - da ist der Einfluss viel geringer.

Die Regierung hingegen ist noch sehr eigen. Längst hat sie sich von allen "Idealen" gelöst, stellt sie dennoch nicht Maos "Leistungen" neutral dar. Großer Sprung nach vorn war ein Desaster, Kulturrevolution eine Katastrophe, die Einmischung in den Koreakrieg bzw. der Angriff mit schlecht ausgerüsteten Soldaten unmenschlich und unnötig (die Hälfte der Kriegsgefangenen wollten nicht mehr zurück nach China oder Nordkorea). Mao hat über 65 Mio. Menschenleben von Chinesen auf dem Gewissen - und trotzdem verzeihen die Chinesen das allgemein. Kritik kommt nur schwer über die Lippen und wenn ja, dann wird diese Kritik auch durch die Regierung unterdrückt wie 1978 an der "Mauer der Demokratie" und 1989 bei der Studentenbewegung, wo das Maobild mit Farbbeuteln beschmissen wurde....

Ebenso sind die Bücher "Ich war Maos Leibarzt" oder "Roter Nachrichtensoldat" in China verboten und nur in Taiwan erhältlich.

Das Mao nun auf den Geldscheinen abgedruckt ist, ist der größte Widerspruch in sich. Das Sozialistische bzw. Kommunistische System gibt es in China nicht mehr. Es geht auch gar nicht mehr um dieses Systeme, sondern ausschließlich um die Machtabsicherung der "Kommunistischen" Partei, die ihren großen Vorsitzenden nicht schlecht redet, von ihm aber auch nichts übernommen hat (was auch?). Sozialismus und Marktwirtschaft passen nicht zusammen, sondern sind in sich widersprüchlich. Nur die KP verkauft das im Sinne ihrer Machterhaltung so, als würde es zusammengehören.

Tut es aber nicht. China ist derzeit ein Kapitalismus, in dem Arbeiter wenig bis gar keine Rechte und Absicherung haben, und dem es auf Beziehungen zu Clans und einflussreichen Funktionären ankommt, ob man erfolgreich größer investieren kann oder nicht. Korruption ist somit in China enorm groß und kein Mensch kann aufgrund der abhängigen Justiz etwas dagegen tun. Der letzte Versuch von Arbeitern ihre Rechte gegen Korruptin einzufordern endete letzten Monat mit 36.000 Verhaftungen von Bittstellern in Peking. Der Sozialismus und Kommunismus ist gescheitert. Was bleibt ist ein totalitäres Ein-Parteien-Regime mit sozialen Untschieden wie in der vorrevolutionären Zeit.

Martin
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Mao immer noch ein Thema

Beitrag von admin »

Es ist schon ein Anachronismus - Mao-Statuen, Mao-Scheine, eine Serie über Mao im Fernsehen, bei dem jedem die Spucke wegbleibt (ich habe sie fast komplett gesehen) wegen dieser kritiklosen Verherrlichung eines Mannes der Millionen Menschen auf dem Gewissen hat.
Seine Leistungen nach der Gründung der VRChina werden aber zumindest von den Chinesen schon kritischer - aber immer noch unglaublich milde - beurteilt. Die Tatsache, dass er China geeint und von ausländischer Bevormundung/Besetzung befreit hat, scheint immer noch bei vielen Chinesen schwerer zu wiegen, ganz nach der Vorgabe: 70% waren gut 30% schlecht.
Jede politische Entscheidung wird heute immer noch ideologisch mit den Mao Zedong-Ideen begründet, obwohl das mit der "realen Welt" wenig zu tun hat.
Kim

@Martin: Wo hast du die Berichte von den 36.000 Verhaftungen her? Würde mich interessieren.
Marv

China totalitär

Beitrag von Marv »

Hallo Martin,

ist Dir eigentlich der Unterschied zwischen einem autoritären und einem totalitären Staat bewusst? Ich würde Nordkorea als totalitären Staat bezeichnen, auch noch den islamischen Fundamentalismus, die VR China ist ein autoriärer Staat.
Eine kurze, einfache Definition zu deinem Verständnis gibt es unter
http://www.bpb.de/popup_lemmata.html?guid=JOGNZB

Ciao

Marvin
Martin

Re: Mao immer noch ein Thema

Beitrag von Martin »

Admin hat geschrieben:Jede politische Entscheidung wird heute immer noch ideologisch mit den Mao Zedong-Ideen begründet, obwohl das mit der "realen Welt" wenig zu tun hat.
Naja - ganz so würde ich das nicht betrachten. Viele der Hauptideen wurde doch aufgegeben. Widerspruchstheorie oder der Zustand der andauernden Revolution ist aufgegeben. Vom historischen Materialismus ist aufgrund des neuen Wirtschaftssystems auch nicht viel übrig geblieben. Es sind ein paar Rudimente und Zitate, die noch als Leitspruch gelten mögen, wie z.B. "Nutzt den Westen für die eigenen Zwecke" etc. und "Religion ist Gift" wird noch halbherzig gefolgt, aber da gibt es - solange man die Religionsgemeinschaften kontrollieren kann - schon Zugeständnisse. Mit was nun letzten Endes Entscheidungen begründet werden oder nicht spielt keine Rolle. Mit dem Ende der Viererbande ging auch die Ära Maos zu Ende... Und es wurde anders - wirtschaftlich ging es bergauf - rechtsstaatlich sollte sich aber nicht viel ändern. Mit den neuen Reformen in Wirtschaft hofften die Menschen auch auf Reformen im Sinne der Rechtsstaatlichkeit. 1978 und 1989 sind diese Hoffnungen zunichte gemacht worden....

@Martin: Wo hast du die Berichte von den 36.000 Verhaftungen her? Würde mich interessieren.
Stand in mehreren Printmedien. Unter anderem in der FAZ: http://www.faz.net/s/RubA24ECD630CAE40E ... 7D16F4211/
Doc~E1E34B0058FAC41C9ABA66BCF64608144~ATpl~
Ecommon~Scontent.html

Der Artikel offenbart - direkt und indirekt - viele Details über die Vorgehensweise der staatlichen Autorität in China. Viele Menschen bleiben einfach auf der Strecke - trotz zweistelliger Wirtschaftswachstumszahlen.....

Gruß,
Martin
Martin

Re: China totalitär

Beitrag von Martin »

Marv hat geschrieben:Hallo Martin,

ist Dir eigentlich der Unterschied zwischen einem autoritären und einem totalitären Staat bewusst? Ich würde Nordkorea als totalitären Staat bezeichnen, auch noch den islamischen Fundamentalismus, die VR China ist ein autoriärer Staat.
Eine kurze, einfache Definition zu deinem Verständnis gibt es unter
http://www.bpb.de/popup_lemmata.html?guid=JOGNZB

Ciao

Marvin
Ja, ich kenne den Unterschied. Das mag eine politisch-wissenschaftlich korrekte Ausdrucksweise sein, aber die andere Bezeichnung ist eher ein Euphemismus als eine adequate Bezeichnung. Desweiteren: es heißt ja: "Totalitarismus bezeichnet eine politische Herrschaft, die die uneingeschränkte Verfügung über die Beherrschten und ihre völlige Unterwerfung unter ein (diktatorisch vorgegebenes) politisches Ziel verlangt." Rechtsstaatlich gesehen ist dies in China gegeben. Dennoch, du hast Recht. Ich werde in Zukunft von einem repressiven System sprechen, in dem die Partei einen totalitären Anspruch ihrer Position inne hält. Ist das besser?

Martin
Martin

Link zerschossen?

Beitrag von Martin »

@Martin: Wo hast du die Berichte von den 36.000 Verhaftungen her? Würde mich interessieren.
Hier nochmal der Link zum Artikel über die Verhaftungen in Peking letzten Monat: FAZ-Artikel
Tobias

Aneinander vorbeireden?

Beitrag von Tobias »

Hallo Martin und Kim
der Hauptwiderspruch wurde zwar geändert, aber die Widerspruchstheorie gilt nach wie vor in China (materielle Bedürfnisse des Volkes <-> Wirtschaftliche Rückständigkeit) auch die These von einem Sozialismus chinesischer Prägung usw. gilt nach wie vor. Ich würde sagen, dass Ihr einfach auf unterschiedlichen Ebenen argumentiert. Kim geht einfach eher theoretisch von der offiziellen Ideologie aus, Martin eher von dem, was tatsächlich noch praktiziert wird. Da redet man leich aneinander vorbei.
Gruss
Tobias
Gast

laengst keine Ikone mehr

Beitrag von Gast »

Mao Zedong sieht man zwar immer noch auf den Geldscheinen auf Bildern und Statuen aber er ist schon laengst keine Ikone mehr. Ich lebe in China und erfahre oft wie sich die Chinesen ueber Mao auslassen. Von vielen wird er noch als Begruender der Volksrepublik und als genialen Strategen verehrt, Man sieht immer noch Filme ueber das Leben von Mao Zedong im Fernsehen, kann Buecher ueber ihn kaufen und auch Schnick Schnack, aber den heiligen Status hat er laengst nicht mehr inne. Das haengt mit den Fehlern zusammen, die er zu seinen Lebzeiten gemacht hat und bis heute ihre Auswirkungen haben. Kulturrevolution und der gr. Sprung nach vorne, waren Desaster. Das hoert man sogar von offiziellen Stellen. Den letzten Witz den mir mein chin. Kollege erzaehlt hat war dieser:

"Woran erkennt man das der Geldschein (chin. RMB) echt ist? Man reibt den Schein an einer Brust einer Frau und schaut danach ob auf dem Geldschein bei Maos Gesicht Spucke zu finden ist. Wenn ja, dann ist er echt. (Mao war als Sexmonster und Frauenaufreiser bekannt).

Man hoert solche Witze oefters in China als Heldengeschichten ueber Mao.
Heinz

Mao als Sexmonster...

Beitrag von Heinz »

...mannomann, angesichts Eurer Chinakenntnisse bekommt man ja Minderwertigkeitskomplexe.
Während meiner Zeit in China und vor allem in Shaoshan und Changsha (als Mao Zedong noch lebte) hab ich andres gesehen. Aber: Martin - ich war sicherlich politisch ver-/geblendet, nicht wahr?
Erfrischend, wie hier deutsche Missionare den Chinesen deren Geschichte erklären. Wären die so nie drauf gekommen...
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