Über die Prinzipien des Dao

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Taifun
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Über die Prinzipien des Dao

Beitrag von Taifun »

    Fortsetzung des Threads "Wer möchte mit mir über den chinesischen Taoismus diskutieren" von 周月樵
    (s. viewtopic.php?t=35589)
    Tao Tao hat geschrieben: 28.02.2023, 13:38
    Laogai hat geschrieben: 28.02.2023, 07:55
    Taifun hat geschrieben:Und tatsächlich, die Nummer 3 fehlt. Aber warum. Welches besondere Thema verbirgt sich denn hinter der Ziffer 3 - oder dürfen wir mal raten?
    Wenn dir nicht aufgefallen ist, dass die Nummer 3 fehlt, bedeutet dieses, dass du die Fähigkeit besitzt dich mehr auf den Inhalt (= das Wesentliche, 道) zu konzentrieren als auf die Form.
    Aus einer taoistischen Perspektive könnte man sagen, dass dies ein Beispiel für das Konzept des "Wu Wei" ist, was bedeutet, dass man im Einklang mit dem Fluss des Lebens handelt und nicht gegen ihn kämpft.
    Da sind wir doch gleich in medias res. Im Daodejing, dem Buch vom Weg und seiner Wirkung, lesen wir im Abschnitt 2.12:
    是以聖人䖏 無爲 之事 (shì jĭ shèng rén chŭ wú wéi zhī shì): ‚Aus diesem Grund beschäftigt sich der Vollkommene mit Angelegenheiten des Nicht-Eingreifens‘.
    • 無爲 wú wéi: ‚ohne (absichtliches) Eingreifen‘
    Die Ergänzung "absichtliches" scheint notwendig zum richtigen Verständnis der Zeilen. Immer wieder ist von einer (inneren) Widersprüchlichkeit der Lehre zu lesen, wie ich im Brockhaus meine gelesen zu haben, und selbst in Meyers großem Taschenlexikon [1981] stand ncoh einschränkend (im folgenden Zitat kursiv gesetzt): "[...] Tao, die Natur, der Anfang aller Dinge, das Absolute, bringt - obschon 'dauernd ohne Handeln' - das Universum, den Himmel und die Erde und diese die Dinge der Welt hervor." [in der Ausgabe 2003 erscheit dieser Passus nicht mehr]

    Dies läuft ohne 'absichtliches' Eingreifen/Handeln ab, und so sehe ich auch nichts Widersprüchliches darin, denn ich/wir selbst brauche(n) nichts dazu zu tun. Das Geschehen läuft auch ohne uns oder unser Zutun ab.

    Da wir aber nun mal mit dabei sind, empfehlen sich bestimmte Prinzipien, um in diesen Ereignissen nicht unterzugehen...
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    Re: Über die Prinzipien des Dao

    Beitrag von Tao Tao »

    Ja, das stimmt. Der Satz "是以聖人䖏 無爲 之事" (shì jĭ shèng rén chŭ wú wéi zhī shì) aus dem Daodejing (Tao Te Ching) bedeutet wörtlich übersetzt "Daher beschäftigt sich der Heilige mit Angelegenheiten des Nicht-Handelns".

    Dieser Satz ist einer der vielen im Daodejing, die die Bedeutung des "Wu Wei" betonen, einer Schlüsselkonzept der daoistischen Philosophie. Wu Wei bedeutet wörtlich "Nicht-Handeln" oder "Nicht-Eingreifen" und bezieht sich darauf, im Einklang mit dem natürlichen Fluss der Dinge zu handeln, anstatt gegen ihn zu kämpfen. Es geht darum, im richtigen Moment das Richtige zu tun, ohne unnötige Anstrengung oder Widerstand zu leisten.

    Für daoistische Denker ist Wu Wei ein wichtiger Aspekt des Lebens, der zu innerer Ruhe, Harmonie und Glück führen kann. Es geht darum, im Einklang mit der Natur und dem Dao, dem kosmischen Prinzip, zu leben und zu handeln. Der Satz im Daodejing betont, dass der Heilige oder Weise sich auf Wu Wei konzentriert, um seine inneren Kräfte zu stärken und im Einklang mit dem Dao zu leben.

    Das Wort "absichtlich" kann helfen, das Konzept von Wu Wei im Daoismus besser zu verstehen. Obwohl Wu Wei oft als "Nicht-Handeln" übersetzt wird, bedeutet es im daoistischen Kontext nicht, dass man völlig passiv und untätig sein sollte. Vielmehr geht es darum, auf eine absichtsvolle Weise zu handeln, die im Einklang mit dem natürlichen Fluss der Dinge steht.

    In der daoistischen Philosophie wird argumentiert, dass das Universum aufgrund des Prinzips des Dao, das sich in der Natur und den natürlichen Kräften manifestiert, auf natürliche Weise funktioniert. Menschliches Eingreifen ist daher oft unnötig oder sogar kontraproduktiv. Wu Wei bedeutet daher, sich nicht gegen den natürlichen Fluss der Dinge zu stellen, sondern auf eine absichtsvolle Weise im Einklang mit ihm zu handeln.

    In Bezug auf die vermeintliche Widersprüchlichkeit der daoistischen Lehren könnte man argumentieren, dass sie aufgrund ihrer Betonung von Wu Wei und dem Dao oft als passiv oder fatalistisch missverstanden werden. Tatsächlich geht es jedoch darum, auf eine absichtsvolle und bewusste Weise im Einklang mit der Natur zu handeln, um ein erfülltes und harmonisches Leben zu führen. Es geht also weniger um das Nicht-Handeln als solches, sondern um das Handeln im Einklang mit dem natürlichen Fluss der Dinge.
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    Re: Über die Prinzipien des Dao

    Beitrag von Boyar »

    Tao Tao hat geschrieben: 28.02.2023, 18:39Es geht darum, im richtigen Moment das Richtige zu tun, ohne unnötige Anstrengung oder Widerstand zu leisten.
    Wenn der Moment richtig ist, soll man das Richtige obligatorisch tun; mit anderen Worten, ist dann das Handeln zwingend erforderlich, oder?
    Zum Beispiel, ein Kampfsportler könnte nach einem Fehlgriff seines Gegners gewinnen. Da wäre das Nicht-Handeln unrichtig, oder?
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    Re: Über die Prinzipien des Dao

    Beitrag von Tao Tao »

    Boyar hat geschrieben: 01.03.2023, 10:36
    Tao Tao hat geschrieben: 28.02.2023, 18:39Es geht darum, im richtigen Moment das Richtige zu tun, ohne unnötige Anstrengung oder Widerstand zu leisten.
    Wenn der Moment richtig ist, soll man das Richtige obligatorisch tun; mit anderen Worten, ist dann das Handeln zwingend erforderlich, oder?
    Zum Beispiel, ein Kampfsportler könnte nach einem Fehlgriff seines Gegners gewinnen. Da wäre das Nicht-Handeln unrichtig, oder?
    Das ist grundsätzlich korrekt. Im Daoismus wird betont, dass man sich dem natürlichen Fluss des Lebens hingeben und im Einklang mit der Natur handeln sollte. Das bedeutet auch, dass man in bestimmten Situationen handeln sollte, wenn es richtig und notwendig ist.

    Allerdings ist die Vorstellung, dass das Handeln zwingend erforderlich ist, im Daoismus nicht unbedingt richtig. Der Daoismus betont vielmehr, dass man auf seine Intuition und auf das eigene innere Gefühl hören sollte, um zu entscheiden, ob und wann man handeln sollte. Man soll nicht blindlings handeln, sondern stattdessen darauf achten, was der natürliche Fluss des Lebens und die eigene innere Natur einem sagen.

    In Bezug auf das Beispiel des Kampfsportlers, wäre es aus daoistischer Sicht nicht unbedingt falsch, nicht zu handeln, wenn er die Möglichkeit hätte, einen Fehlgriff seines Gegners zu nutzen, um zu gewinnen. Im Daoismus geht es nicht um das Gewinnen oder Verlieren, sondern um das Handeln im Einklang mit der Natur. Wenn der Kampfsportler also intuitiv spürt, dass es in diesem Moment nicht richtig ist zu handeln, könnte das Nicht-Handeln tatsächlich die bessere Option sein.
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    Re: Über die Prinzipien des Dao

    Beitrag von Taifun »

    Hier möchte ich - obwohl des Chinesischen nicht mächtig - die wörtliche Übersetzung von 聖人 (shèng rén) mit "Der Heilige" hinterfragen.
    Wenn wir annehmen, dass die "ursprünglichste" Fassung des Daodejing genau diese Zeichen enthielt,
    und wenn wir uns vergegenwärtigen, dass die Lehre zunächst als philosophische Abhandlung kursierte und erst Jahrhunderte soäter daraus auch eine Religion entstand, dann sei die Frage gestattet, welche 'Heiligkeit' denn hier gemeint sein könnte?

    Oder anders formuliert:
    Was bedeutet der Begriff 'Heiligkeit' in der Philosophie?
    Standen da ursprünglich vielleicht andere Zeichen, die zu einem späteren Zeitpunkt durch 聖人 (shèng rén) ersetzt wurden?
    Bedeutete dieser (hypothetische) ursprüngliche Begriff etwas, worin religiöse Auffassungen späterer Zeit einen "Heiligen" hätten erkennen können und daher seitdem die Schriftzeichen 聖人 (shèng rén) benutzten?
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    Re: Über die Prinzipien des Dao

    Beitrag von MaxG »

    至道无难 唯嫌拣择。
    Auch wenn es aus dem Zen kommt( Meisselschrift vom Glauben an den Geist)-ist damit nicht schon alles gesagt?
    WIR WOLL`N DIE DDR ZURÜCK
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    Re: Über die Prinzipien des Dao

    Beitrag von Tao Tao »

    Taifun hat geschrieben: 03.03.2023, 12:55 Hier möchte ich - obwohl des Chinesischen nicht mächtig - die wörtliche Übersetzung von 聖人 (shèng rén) mit "Der Heilige" hinterfragen.
    Wenn wir annehmen, dass die "ursprünglichste" Fassung des Daodejing genau diese Zeichen enthielt,
    und wenn wir uns vergegenwärtigen, dass die Lehre zunächst als philosophische Abhandlung kursierte und erst Jahrhunderte soäter daraus auch eine Religion entstand, dann sei die Frage gestattet, welche 'Heiligkeit' denn hier gemeint sein könnte?

    Oder anders formuliert:
    Was bedeutet der Begriff 'Heiligkeit' in der Philosophie?
    Standen da ursprünglich vielleicht andere Zeichen, die zu einem späteren Zeitpunkt durch 聖人 (shèng rén) ersetzt wurden?
    Bedeutete dieser (hypothetische) ursprüngliche Begriff etwas, worin religiöse Auffassungen späterer Zeit einen "Heiligen" hätten erkennen können und daher seitdem die Schriftzeichen 聖人 (shèng rén) benutzten?
    Interessanter Gedankengang, die Bedeutung des Begriffs "Heiliger" im Zusammenhang mit dem chinesischen Konzept von 聖人 zu betrachten. Es stimmt, dass das Daodejing als philosophische Abhandlung begann und erst später zur Grundlage einer religiösen Tradition wurde.

    In der Philosophie spricht man von "Heiligkeit" bei einer Person, die moralisch oder spirituell erhaben ist, die ein hohes Maß an moralischer Integrität und Tugendhaftigkeit aufweist. Es geht also nicht um eine religiöse Heiligkeit, sondern um eine Art moralischer oder spiritueller Perfektion.

    Im chinesischen Kontext bezieht sich 聖人 auf eine Person, die ein hohes Maß an Weisheit und Tugendhaftigkeit erreicht hat und ein Beispiel für andere darstellt. Aber es muss bedacht werden, dass 聖人 ein sehr komplexer Begriff ist und in verschiedenen Zusammenhängen unterschiedliche Bedeutungen haben kann.
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    Re: Über die Prinzipien des Dao

    Beitrag von Taifun »

    Wenn diese Person also "ein hohes Maß an moralischer Integrität und Tugendhaftigkeit aufweist",führte dann die Übersetzung "Heiliger" nicht für so manchen in die Irre, wäre in diesem Zusammenhang die Person nicht viel treffender als "Der Vollkommene" charakterisiert?
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    Re: Über die Prinzipien des Dao

    Beitrag von Tao Tao »

    Völlig verständlich, dass "Heiliger" im Zusammenhang mit moralischer oder spiritueller Perfektion zu Missverständnissen führen könnte, da das Wort normalerweise mit religiöser Heiligkeit in Verbindung gebracht wird.

    In diesem Kontext könnte der Ausdruck "der Vollkommene" tatsächlich eine treffendere Bezeichnung sein, um die Idee der moralischen oder spirituellen Perfektion zu vermitteln.

    Die Verwendung von Begriffen und Begriffskombinationen in der Philosophie und anderen intellektuellen Disziplinen hängt oft von der Tradition und Konvention ab und es gibt möglicherweise bestimmte Gründe, warum der Begriff "Heiligkeit" in diesem Zusammenhang bevorzugt wird.

    Ein möglicher Grund ist, dass das Wort "Heiligkeit" historisch gesehen mit der Idee der moralischen und spirituellen Perfektion verbunden ist. Es hat also eine lange Tradition in der Philosophie und anderen Bereichen der Geisteswissenschaften. Darüber hinaus kann die Verwendung des Wortes "Heiligkeit" auch dazu beitragen, die Idee der moralischen und spirituellen Perfektion als etwas zu kennzeichnen, das über das gewöhnliche menschliche Maß hinausgeht und etwas Göttliches oder Transzendentes darstellt.

    Das Wort "Heiligkeit" hebt einen ethischen oder moralischen Aspekt hervor, der nicht unbedingt im Ausdruck "der Vollkommene" enthalten ist. Die Idee der Heiligkeit ist eng mit Tugend und moralischer Integrität verbunden, und das Wort kann dazu beitragen, den moralischen Charakter einer Person oder einer Idee zu betonen.

    Letztendlich hängt die Wahl der Begriffe jedoch von der jeweiligen philosophischen Tradition, dem Kontext und dem Zweck ab, für den der Begriff verwendet wird.
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