es ist jetzt ziemlich genau ein Jahr vergangen, seit dem ich diesen Thread eröffnet hatte, das will ich mal zum Anlass nehmen, die Frage nach den politischen Zielen erneut zu stellen.
Damals hatte ich ja zwei Fragen in den Raum gestellt:
- was bezweckt China mit der fortgesetzten Zero-Covid-Strategie?
- gibt es eine Exit-Strategie, und wenn ja, wie sieht die aus?
Wenn man nun schaut, was sich im letzten Jahr getan hat, und speziell im letzten Monat, sieht das erstmal nicht nach einer Strategie aus, sondern wirkt eher, als habe die Regierung Chinas gar keine Strategie ausser "weiter so" gehabt, und sei dann von Protesten getrieben in einen strategiefreien plötzlichen Exit getrieben worden. Und das würde auch bedeuten, dass die Ziele, welche es auch immer waren, nicht erreicht wurden, sondern aufgegeben werden mussten...
Ich möchte dem nun aber eine andere Interpretation der Dinge gegenüberstellen. Im Gegensatz zu zuvor habe ich inzwischen eine deutlich bessere Meinung zum Agieren Chinas in dieser Krise und habe das Gefühl, dass China vielleicht sogar einen sehr guten Weg gewählt hat (wenn auch nicht den bestmöglichen, so doch einen besseren als viele europäische Staaten...)
Ganz am Anfang, als man noch nichts über Corona wusste, war es sicher kein Fehler, auch radikale Massnahmen wie Zero-Covid zu erlassen, um eben auf Nummer Sicher zu gehen, der Einstieg in Zero-Covid in China war daher kein Fehler.
Dass es meiner Ansicht nach besser gewesen wäre, nach den Erfahrungen mit der ersten Welle auf eine andere Politik umzusteigen, nämlich "focused protection" der Risikogruppen und ansonsten Durchseuchung, steht auf einem anderen Blatt,
aber solange noch, zumindest für größere Gruppe gefährlichere, aber gleichzeitig nicht so hochansteckende Varianten (Alpha, Delta) umliefen, war Zero-Covid auch ohne übermäßige Belastungen durchsetzbar.
@Petermedia schrieb hier mal, dass die ersten zwei Jahre in Hinblick Corona-Massnahmen in China tatsächlich "freier" waren als in Deutschland, wo ständig andere Regeln galten, wo es Ausgangssperren, Tanzverbote, Schulschliessungen, Impfzwang gab, wo Spielplätze und Parkbänke abgesperrt wurden, wo Familien von der Polizei vom Rodelhügel vertrieben wurden oder Jugendliche mit dem Streifenwagen durch den Park gejagt wurden und gar private Treffen in der eigenen Wohnung untersagt wurden (und "Blockwarte" "Meldung" machten!)
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Petermedia hat geschrieben: ↑22.05.2022, 23:24
Noch im März 2001 würde eine Bekannte die ihren Geburtstag mit vier Menschen aus drei Haushalten gefeiert hatte bestraft.
Die vier mussten 2000 Euro bezahlen.
In Shanghai hatte ich zu der Zeit ein ziemlich unbeschwertes Leben geführt.
Gym Restaurant Club Freizeitpark alles war offen. Einzig in Ubahn und Krankenhäusern war Maskenpflicht.
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Petermedia hat geschrieben: ↑12.06.2022, 20:44
Als ich das vorletzte mal Anfang 2021 in China eingereist bin war hier in D schon 4 Wochen Lock down.
Lock down keine Weihnachtsmärkte, das Treffen mit zwei Freunden schon konspirativ illegal.
Der Eintritt in die Shanghai Bubble war wirklich dystopisch , aber nach den damaligen 2 Wochen Quarantäne stürzte ich mich ins pralle Leben. Hotpot Gym, wuselige Malls etc.
Einzig der manchmal verlangte grüne QR, meisten mache man sich am Morgen einen Screenshot, und die Maskenpflicht in der Metro erinnerten an COVID.
Als ich dann im April in Frankfurt ankam war es
Auch dystopisch. Less leer. Da es ja auf dem Flieger nichts anständiges zu gab holte ich mir erst mal im A terminal eine Pommes.
Anders als im 2000 Lock down waren nun alle Sitzgelegenheiten abgebaut.
Als ich da so mit meiner Pommes auf'm Koffer saß kam dann noch die Polizei und mopperte mich an, dass ich hier nicht sitzen dürfte.
Erst Omikron war der "Game-Changer", die nun viel ansteckendere, aber gleichzeitig harmlosere Variante änderte die Situation. Nun war es schwierig bis unmöglich, einen Ausbruch unter Kontrolle zu bekommen, die Belastungen für die Bevölkerung für die Zero-Covid-Massnahmen wurden extrem und manchmal sogar tödlich, die Wirtschaft wurde schwer geschädigt...
Nun eine plötzliche Öffnung durchzuziehen, erscheint mir da nur sinnvoll. Bei Omikron wird sich auf jeden Fall praktisch jeder infizieren. Je mehr sich gleichzeitig infizieren, umso schneller ist der Zustand der Durchseuchung erreicht, umso geringer sind die negativen Auswirkung zB. durch Krankheitsausfälle in den Betrieben! Die massive Welle derzeit in China ist im Prinzip ein sehr erfreuliches Zeichen, bedeutet es doch, dass vielleicht schon vor dem 1. Mai Corona in China kein Thema mehr sein wird! Das erscheint mir eine weitaus bessere Aussicht zu sein als sich ewig hinziehende Massnahmen und ständig geringere, aber nicht vernachlässigbare Infiziertenzahlen in Deutschland!
Insoweit scheint mir China vielleicht doch mehr richtig gemacht zu haben, als man zunächst denken könnte! Zumindest in den ersten zwei Jahren und jetzt seit November/Dezember.
Fragwürdig hingegen ist die chinesische Politik weiterhin im Zeitraum zwischen Frühjahr, so ab großem Lockdown in Shanghai, bis eben November! Spätestens nach den Erfahrungen des Shanghai-Lockdowns, der gleichzeitig deutlich gemacht hat, dass Omikron nicht mehr einzufangen ist und dass die Kosten und Lasten durch Zero-Covid ins Unermessliche steigen, wäre ein Politikwechsel angesagt gewesen!
Die ursprünglich gestellte Frage muss also nun umformuliert werden:
Welche Ziele hat die chinesische Regierung mit dem Herauszögern der Öffnung um rund ein halbes Jahr verfolgt?
Das naheliegende Ziel war sicher, vor dem Parteitag im Oktober keine Unruhe in der Bevölkerung entstehen zu lassen, diesen Parteitag noch unter Zero-Covid-Bedingungen durchzuziehen. Im Hintergrund vermute ich, dass es insbesondere auch darum ging, innerparteiliche Opposition in der KPCh zu unterdrücken.
Aber ich vermute, dass es noch weitere Ziele gab und gibt: gerade die Tatsache, dass ausgerechnet Xinjiang, und dort die Hauptstadt Wulumuqi die längsten Lockdowns hatte, scheint mir kein Zufall zu sein.
Ich persönlich vermute einen engen Zusammenhang mit den Unruhen in Kasachstan im Januar diesen Jahres (siehe zB.
https://www.tagesschau.de/ausland/asien ... e-113.html ) Dieser (zum Glück gescheiterte) Aufstand hatte das Potential, auch auf das direkt benachbarte (~300km) Xinjiang überzugreifen, und hätte gerade für muslimische Extremisten ein Nährboden sein können, um Terroristen in China zu installieren und für die Idee eines islamistischen Gottesstaates Ostturkestan zu werben. Die Aufstände in Kasachstan waren ziemlich deutlich aus dem Ausland angezettelt und unterstützt, ein strenger Lockdown dürfte daher als Abwehrmassnahme gegen ein Übergreifen nach Xinjiang eine ziemlich naheliegende Massnahme gewesen sein... Die Frage wäre nun nur, warum China dieses Risiko nun nicht mehr sieht?