sweetpanda hat geschrieben:
Sie wollen einfach nur ein Freihandelsabkommen, wie Chile oder Südkorea.
Über ihre Grenzen wollen sie selbst bestimmen, nichts mehr einzahlen und nichts mehr von der EU bekommen.
Es geht ihnen um nichts anderes und das will man nicht gewähren, eine Schande.
Das ist so nicht richtig. Die EU hat im Prinzip kein Problem damit, dass die Briten aus dem gemeinsamen Markt und der Zollunion austreten, und die EU dann mit den Briten ein Freihandelsabkommen abschließt. Dies ist die sogenannte "Canada Plus"-Option, da das noch recht neue Freihandelsabkommen der EU mit Kanada als Blaupause dienen würde. Barnier hat dies sogar in seiner berühmten "Treppe" letzten Dezember als das logische Verhandlungsergebnis beschrieben (siehe z.B. hier
https://uk.reuters.com/article/uk-brita ... KKBN1ED23R).
Es gibt allerdings zwei Probleme damit: a) Nordirland, und b) fehlende Mehrheit in der konservativen Partei für diese Variante.
Zuerst
Nordirland: Sowohl die EU als auch das Vereinigte Königreich haben das Bewahren des "Good Friday Agreement" zur Befriedung von Nordirland im Zusammenhang mit Brexit wiederholt bekräftigt. Dies setzt zwar nicht explizit aber implizit voraus, dass es keine Grenzkontrollen zwischen Nordirland und der Republik Irland geben kann - auch da sind sich die EU und Großbritannien soweit einig. Die EU hat deshalb als "Backstop" vorgeschlagen, dass es eben Grenzkontrollen in den Häfen von Nordirland geben wird (auch für Importe und Exporte aus Großbritannien), und Nordirland defakto Teil des Gemeinsamen Marktes und der Zollunion bleibt. Das schmeckt natürlich den extremeren Brexit-Befürwortern überhaupt nicht, und der DUP (die Unionisten-Partei in Nordirland) schon gar nicht. Und die konservative Minderheitsregierung ist auf die Stimmen der DUP angewiesen. Derzeit gibt es keine Lösung. Man versucht scheinbar über die Sommerpause, eine Sprachvariante des EU-Vorschlags zu finden, den Theresa May irgendwie akzeptieren kann, und auf diese Weise erstmal den Austrittsvertrag fertig zu machen, der das Problem dann durch die Übergangsregelung weitere 18 Monate in die Zukunft schiebt.
Dann zu den
Flügelkämpfen innerhalb der konservativen Partei: Hier stehen sich zum einen die Hardline-Brexiteers, und auf der anderen Seite diejenigen, die eigentlich "Remain" unterstützt hatten, gegenüber. Die Strategie der Hardliner scheint es zunehmend zu sein, einen "No-Deal Brexit" zu provozieren. Das will aber eine Mehrheit der Abgeordneten (und die Regierung, und die EU) auf jeden Fall vermeiden. Auf der anderen Seite wollen die ehemaligen Remainer am liebsten das Projekt Richtung "Norway Plus" (also Verbleib im Gemeinsamen Markt und der Zollunion) steuern - denn sie wollen den wirtschaftlichen Schaden eines Austritts verhindern: Nach über 40 Jahren in der EU haben sich in zahlreichen Industrien wie Automobilbau und Aerospace so enge Just-In-Time Lieferketten zwischen dem Kontinent und Großbritannien gebildet, dass die betroffenen Unternehmen vor zukünftigen Grenzkontrollen, und den daraus sich ergebenden Verzögerungen an der neuen Grenze, und damit der Notwendigkeit, erhebliche neue Teilelagern aufzubauen, große Sorgen haben; mittelfristig kann zwar Produktion verlagert werden, aber dafür braucht es längere Planungshorizonte. Insbesondere auch, da bisher keinerlei Vorbereitungen für neue Grenzkontrollen getroffen worden sind. Entsprechend gibt es in der Regierungspartei keine Brexit-Variante, die eine Mehrheit findet. Das hat zu dem White Paper von Chequers geführt, das versucht, irgendwie einen Mittelweg zu finden zwischen Brexit-Hardlinern und "Brino" (Brexit-In-Name-Only)-Remainers. Dieser Vorschlag ist allerdings für die EU nicht akzeptabel, da es auf einen teilweisen Verbleib im Gemeinsame Markt für Waren hinausläuft, ohne aber die Vier Freiheiten der EU anzuerkennen. Die EU hat sich allerdings bisher vornehm zurückgehalten, dass so deutlich zu sagen, denn, siehe oben, ist Ziel der EU jetzt erstmal den Austrittsvertrag abzuschließen, und dann weitere 18 Monate Zeit zu haben (und die Übergangsregelungen im Austrittsvertrag ließen sich ja immer noch verlängern...).
Soweit mein Versuch, die derzeitigen Tatsachen möglichst neutral darzustellen (als jemand, der in Großbritannien lebt, folge ich dem Schlamassel vielleicht verständlicherweise recht intensiv...).