Philipp hat geschrieben:Ja, er hätte die Landwirtschaft nicht kollektivieren lassen müssen und dadurch Millionen Menschen nicht in den Hungertod getrieben, er hätte nicht Millionen Bauern als angebliche Großgrundbesitzer in den 50er Jahren erschießen lassen müssen, er hätte nicht Millionen Menschen zur Sklavenarbeit aufs Land schicken lassen müssen, er hätte nicht lauter Kunstgegenstände, religiöse Bauten usw. zerstören lassen müssen, er hätte nicht die Wälder abholzen lassen müssen, um sie als Feuerholz für untaugliche Mini-Hochöfen verwenden zu lassen.
Aber ich will gar nicht Mao die Alleinschuld geben, die Schuld trifft auch all die Lakaien und Speichellecker die ihm bis heute in seinen fetten Arsch kriechen und die all seine Verbrechen durch ihre Handlangertätigkeiten überhaupt erst möglich gemacht haben.
Ist mal schön leicht, Mao so und so viele Millionen Tote in die Schuhe zu schieben. Denkt mal irgendjemand darüber nach, wie viele Millionen Menschen (oder besser: Duzende Millionen Menschen!) Mao Zedong vom Tod gerettet hat?
China war in den 35 Jahren seit der Revolution von 1911 ein einziges Chaos, von Krieg zerrissen, von Kriegsherren beherrscht, wo die Menschen wie die Fliegen starben. Denkt irgendjemand darüber nach, was es für ein Unterschied ist, wenn in einem Land endlich wieder eine echte Regierung an der Macht ist, die so ungefähr für Ordnung sorgen kann? Darüber, wie stark unter Mao z.B. die Kindersterblichkeit zurückging? Wie viele Leute unter Mao endlich Zugang zu medizinischer Versorgung hatten? Wie viele Menschen unter Mao Lesen und Schreiben gelernt haben, was erst die heutige Entwicklung von China ermöglicht hat?
Deng Xiaoping beschuldigt man vor allem des Todes von einigen hunderten oder tausenden von Studenten bei den Demonstrationen auf dem Tianamen-Platz 1989. Aber warum kümmert sich kein Mensch um die Millionen Menschen, die in China unter seiner Herrschaft sterben mussten, weil der unter Mao errichtete Sozialstaat demontiert wurde, weil die Provinzen und Regionen verantwortlich wurden für soziale Einrichtungen, und weil so eben die armen Regionen kein Geld mehr dafür hatten?
Dass der Sozialstaat unter Mao kein Mythos war, beweisen doch recht eindrücklich die Zahlen von Prof. Angus Maddison:
http://www.ggdc.net/maddison/
Gemäss diesen Zahlen hatte China 1900 - 1950 ein Bevölkerungswachstum von 0.63% pro Jahr, 1950 - 1965 (Anfang VR China bis Anfang Kulturrevolution) von 1.81% pro Jahr, 1966 - 1976 (Kulturrevolution) von 2.38% pro Jahr! Da ist es plötzlich nicht mehr so leicht, Mao als Massenmörder hinzustellen, denn in einem Staat mit Massenmord sollte es eigentlich keinen Bevölkerungszuwachs geben.
Es ist eben wieder das ewige Gezerre um politische und zivile versus wirschaftliche und soziale Menschenrechte. Sie stehen alle in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, aber wir verwöhnte Westeuropäer vergessen systematisch die letzteren.
Wenn jemand ein paar Tausend mit einem Maschinengewehr hinrichtet, schreien wir Zeter und Mordio. Wenn jemand Hunderttausende, Millionen oder Duzende von Millionen zum Tode verurteilt, weil man ihnen das zum Leben notwendige entzieht, betrachten wir das als "normal".
Dass das Mao z.B. Millionen von Grossgrundbesitzern am Anfang der 50er Jahre hingerichtet haben soll, ist ausserdem falsch. Die Landreform zu dieser Zeit wurde nicht von einem gut organisierten Regime durchgeführt, das Leute hinrichtete, sondern zum grossen Teil von den Bauern selber. Es sollte eigentlich so ablaufen, dass sich die Bevölkerung von jedem Dort zusammensetzt und das Land, das bis dahin sehr ungleich verteilt war, gerecht auf alle Familien (einschliesslich die ehemals Reichen) verteilt. Es lief auch oft so ab (gemäss den Aussagen von einer Person, die das miterlebt hat). In vielen Fällen war jedoch die Bevölkerung so aufgebracht gegen die Grossgrundbesitzer, die sie bis dahin so ausgebeutet haben, dass sie sie entweder einfach verjagt oder recht oft umgebracht haben. Diese Landreform wurde übrigens von der Bevölkerung allgemein sehr begrüsst, im Gegensatz zur späteren Kollektivisierung (siehe unten).
Wenn man Mao Zedong allein die Schuld an der Hungersnot am Anfang der 60er Jahre zuschiebt, vergisst man einfach, dass diese Hungersnot vor allem von einer aussergewöhnlichen Dürre in ganz Nordchina verursacht wurde, und dass China damals ein armes Land war, das einfach nicht für Millionen Menschen Essen aus dem Ausland importieren konnte. Und es gab damals einfach keine so effiziente Nahrungshilfe wie heute.
Ich sage nicht, dass Mao Zedong alles richtig gemacht hat; er hat ganz klar vieles falsch gemacht. Aber die Kollektivisierung der Landwirtschaft war z.B. einfach nötig, damit der chinesische Staat das Kapital für seine Industrialisierung zusammenkratzen konnte. Bis 1949 hat China kein einziges Auto, keinen einzigen Motor produziert. China war für jede Maschine total vom Ausland abhängig, und das machte China so verwundbar z.B. gegenüber den Japanern, die eine riesige Rüstungsindustrie hatten. China musste sich ebenfalls industrialisieren, um irgendwann einmal seiner Bevölkerung bessere Lebensbedingungen zu bieten.
Es ist leicht für uns, über "Industrialisierung" zu schimpfen. Wir betrachten es aber als selbstverständlich, dass wir uns lebensnotwendige Medikamente leisten können. Dass, wenn wir einen Notfall haben, ein Rettungswagen uns schnell über gut geteerte Strassen ins nächste Krankenhaus bringt, wo wir mit hi-tech-Geräten operiert werden. In China war das einfach nicht so, und ohne Industrialisierung wäre es auch heute noch nicht so.
Und für diese Industrialisierung brauchte China Kapital. Wenn es dieses Kapital von uns "reichen Ländern" bezogen hätte, wäre es wieder von unseren Politikern und Industriekapitänen abhängig geworden, die einfach kein Interesse daran hatten, China zu industrialisieren, sondern China nur als Absatzmarkt für ihre eigenen Produkte sahen. Ausserdem war zu dieser Zeit einfach nicht genug Kapital verfügbar, um so ein riesiges Land wie China zu industrialisieren.
Also hatte Mao einfach keine andere Wahl, als die chinesischen Bauern so stark wie möglich zu melken, um so das Kapital zusammenzukratzen, das er brauchte, um China zu industrialisieren. Und dafür musste er die Landwirtschaft kollektivisieren.
Ich bin ja wirklich kein Fan von Maos Methoden, und praktisch alle Chinesen, die die Kulturrevolution miterlebt haben, fanden sie schrecklich, und wollen so etwas nie wieder. Aber irgendwann muss man eben doch fähig sein, da ein bisschen Abstand zu nehmen, und wenigstens versuchen, zu verstehen, warum das in der damaligen Lage passierte, und warum die Leute damals mit ihrem damaligen Wissen so gehandelt haben. Und wie es gelaufen wäre, wenn sie nicht so gehandelt hätten, und wie viele Millionen Tote es dann gegeben hätte.