Kantonesische Schriftzeichen

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Sky Darmos
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Re: Kantonesische Schriftzeichen

Beitrag von Sky Darmos »

Merkwürdig ...
Diese Plattform wird mit kantonesischen Sonderzeichen wie 脷 lei6 fertig, aber nicht mit seltenen alten Zeichen wie 昰+見 tai6(tai2) und auch nicht mit wichtigen Nom Zeichen wie 体+見 tai2 ...
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punisher2008
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Re: Kantonesische Schriftzeichen

Beitrag von punisher2008 »

Sky Darmos hat geschrieben:Dagegen ist der Anteil rein Kantonesischer Wörter im Kantonesischen viel kleiner.
Kantonesisch (粵 yue4, jyut6, việt, etsu, weol) und Vietnamesisch (越 yue4, jyut6, việt, etsu, weol) hat auch viele gemeinsame Wörter die Mandarin nicht hat. Da Kantonesisch nur selten geschrieben wurde, waren die entsprechenden Schriftzeichen oft nicht bekannt, die verwendeten Schriftzeichen sind also oft unterschiedlich.

Hier drei Beispiele:

1) 呢 này = 呢 ni1 (li1, lei1)

2) [oben体(thấy)unten見](体) thấy = 睇(体) tai2 (正字: 睼 tai6)

3) [außen礼(lễ)innen舌] lưỡi = 脷 lei6
Wie genau meinst du das jetzt? Meinst du, es gibt im Kantonesischen weniger speziell kantonesische Sonderzeichen oder Eigenwörter als standard-chinesische Begriffe? Das ist natürlich klar, da auch im geschriebenen Kantonesisch überwiegend Schriftchinesisch verwendet wird, und ein Großteil der Zeichen mit Mandarin identisch sind.
Deine Beispiele sind für Nicht-Experten etwas verwirrend. Du bist nicht darauf eingegangen, um welche Sprachen es sich bei den Umschriften handelt:
粵 yue4, jyut6, việt, etsu, weol
1. ist klar, Pinyin 2. Jyutping 3. vietnamesisch 4. japanisch 5. koreanisch?
Wo werden denn in Vietnam heute noch diese Schriftzeichen verwendet? Vietnamesisch wird doch jetzt ausschließlich mit Latein-Buchstaben plus Sonderzeichen geschrieben, oder?
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Sky Darmos
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Re: Kantonesische Schriftzeichen

Beitrag von Sky Darmos »

punisher2008 hat geschrieben:Wie genau meinst du das jetzt? Meinst du, es gibt im Kantonesischen weniger speziell kantonesische Sonderzeichen oder Eigenwörter als standard-chinesische Begriffe? Das ist natürlich klar, da auch im geschriebenen Kantonesisch überwiegend Schriftchinesisch verwendet wird, und ein Großteil der Zeichen mit Mandarin identisch sind.
Nein, ich meine bei der schriftlichen Wiedergabe von mundartlichem Kantonesisch, da kommen weit weniger Sonderzeichen zum Einsatz als etwa bei der Wiedergabe von mundartlichem Vietnamesisch. Vietnamesisch hat viel mehr eigene Wörter.
punisher2008 hat geschrieben:Deine Beispiele sind für Nicht-Experten etwas verwirrend. Du bist nicht darauf eingegangen, um welche Sprachen es sich bei den Umschriften handelt:
粵 yue4, jyut6, việt, etsu, weol
1. ist klar, Pinyin 2. Jyutping 3. vietnamesisch 4. japanisch 5. koreanisch?
Ja, ich war etwas schreibfaul ^^
punisher2008 hat geschrieben:Wo werden denn in Vietnam heute noch diese Schriftzeichen verwendet? Vietnamesisch wird doch jetzt ausschließlich mit Latein-Buchstaben plus Sonderzeichen geschrieben, oder?
Ja, das stimmt. Allerdings gibt es in den letzten Jahren vermehrt Anstrengungen das zu ändern:

1. Inzwischen sind die Nom-Fonts in Unicode aufgenommen worden. Unter Windows Vista und Windows 7 braucht man noch nichtmal asiatische Sprachen zu installieren, und man sieht sofort alle Nom Zeichen. Ausgeschlossen sind allerdings seltene Schreibvarianten von NomZeichen, aber die braucht man auch nicht wirklich.

2. Als ich noch vor ein paar Jahren in youtube "Chữ nôm" eingegeben habe, kam nur sehr wenig. Inzwischen sind schon einige moderne vietnamesische Lieder mit Lyriks in HanNom aufgetaucht.
(Chữ nôm = Zeichen Nom, Chữ hán = Zeichen Han, Hán Nôm = Nom + Han)

3. Es gibt Anstrengungen HanNom in die Schulbildung aufzunehmen.

4. Im Vietnamesischen Wiktionary gibt es zu jedem Wort auch eine Liste mit Han und Nom Zeichen die so gelesen werden.

5. Es gibt ein Neues HanNom Wörterbuch das über die Nom Foundation erhältlich ist.

6. Es gibt fast wöchentlich Vorlesungen und Treffen, die sich mit HanNom befassen.

...
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Re: Kantonesische Schriftzeichen

Beitrag von punisher2008 »

Sky Darmos hat geschrieben: Ja, das stimmt. Allerdings gibt es in den letzten Jahren vermehrt Anstrengungen das zu ändern:

1. Inzwischen sind die Nom-Fonts in Unicode aufgenommen worden. Unter Windows Vista und Windows 7 braucht man noch nichtmal asiatische Sprachen zu installieren, und man sieht sofort alle Nom Zeichen. Ausgeschlossen sind allerdings seltene Schreibvarianten von NomZeichen, aber die braucht man auch nicht wirklich.

2. Als ich noch vor ein paar Jahren in youtube "Chữ nôm" eingegeben habe, kam nur sehr wenig. Inzwischen sind schon einige moderne vietnamesische Lieder mit Lyriks in HanNom aufgetaucht.
(Chữ nôm = Zeichen Nom, Chữ hán = Zeichen Han, Hán Nôm = Nom + Han)

3. Es gibt Anstrengungen HanNom in die Schulbildung aufzunehmen.

4. Im Vietnamesischen Wiktionary gibt es zu jedem Wort auch eine Liste mit Han und Nom Zeichen die so gelesen werden.

5. Es gibt ein Neues HanNom Wörterbuch das über die Nom Foundation erhältlich ist.

6. Es gibt fast wöchentlich Vorlesungen und Treffen, die sich mit HanNom befassen.

...
Das ist interessant. Aber in meinem Vista habe ich noch nie solche Zeichen gesehen. Hast du da eine spezielle Eingabemethode? Kannst du vietnamesisch? Warst du länger in Vietnam? Ich interessiere mich eigentlich erst seit einer kurzen Reise letztes Jahr nach Hanoi und Umgebung für das Land. Die Sprache werde ich wohl nie lernen, aber das Land hat mir sehr gefallen.
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Re: Kantonesische Schriftzeichen

Beitrag von Sky Darmos »

punisher2008 hat geschrieben:Das ist interessant. Aber in meinem Vista habe ich noch nie solche Zeichen gesehen. Hast du da eine spezielle Eingabemethode? Kannst du vietnamesisch? Warst du länger in Vietnam? Ich interessiere mich eigentlich erst seit einer kurzen Reise letztes Jahr nach Hanoi und Umgebung für das Land. Die Sprache werde ich wohl nie lernen, aber das Land hat mir sehr gefallen.
Also hier erstmal ein paar Links:

1) Die Seite der Nom Foundation: http://www.nomfoundation.org/index.php?IDcat=52" target="_blank

2) Ein Nur-Nom-Wörterbuch (vietnamesisch): http://www.glossika.com/en/dict/viet.php" target="_blank

3) Ein Nur-Han-Wörterbuch (sinovietnamesisch): http://pagesperso-orange.fr/dang.tk/langues/hanviet.htm" target="_blank

4) Sinovietnamesische Etymologie: http://www.vny2k.com/hannom/tunguyen.asp" target="_blank

5) HanNom Wikipedia: http://incubator.wikimedia.org/wiki/Wp/ ... 5%E6%AD%A3" target="_blank
Es sind etwa 100 Artikel, die Hälfte von mir.

Zu deinen Fragen: Nein, ich war noch nicht in Vietnam. Ich lerne Vietnamesisch seit etwa einem Jahr, von Anfang an in der traditionellen HanNom Schrift.
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Re: Kantonesische Schriftzeichen

Beitrag von chrix »

Sky Darmos hat geschrieben:
Kantonesen und Vietnamesen gehören ursprünglich dem gleichen Stamm genannt 京 (ging1, kinh) an.
Keine Einwände, solange Du damit nicht meinst, daß Kantonesisch und Vietnamesisch zur gleichen Sprachfamilie gehören... Vietnamesisch wurde viele Jahre lang fälschlicherweise zu den sinitischen Sprachen gezählt, gerade aufgrund der vielen Lehnwörter aus den sinitischen Sprachen...

Was die Stämme usw. angeht, kann es durchaus sein, das Internet gibt nicht viel her zum Thema 京. Aber was klar sein sollte ist, daß die Sprache Kantonesisch ursprünglich aus 中原 stammt, es ist durchaus sehr wahrscheinlich, daß diese Sprache von der autochthonen Bevölkerung Südchinas übernommen wurde, aus der sich dann die Kantonesen entwickelt haben...
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Re: Kantonesische Schriftzeichen

Beitrag von Sky Darmos »

chrix hat geschrieben:
Sky Darmos hat geschrieben:
Kantonesen und Vietnamesen gehören ursprünglich dem gleichen Stamm genannt 京 (ging1, kinh) an.
Keine Einwände, solange Du damit nicht meinst, daß Kantonesisch und Vietnamesisch zur gleichen Sprachfamilie gehören... Vietnamesisch wurde viele Jahre lang fälschlicherweise zu den sinitischen Sprachen gezählt, gerade aufgrund der vielen Lehnwörter aus den sinitischen Sprachen...

Was die Stämme usw. angeht, kann es durchaus sein, das Internet gibt nicht viel her zum Thema 京. Aber was klar sein sollte ist, daß die Sprache Kantonesisch ursprünglich aus 中原 stammt, es ist durchaus sehr wahrscheinlich, daß diese Sprache von der autochthonen Bevölkerung Südchinas übernommen wurde, aus der sich dann die Kantonesen entwickelt haben...
"Kantonesisch" wurde schon vor langer Zeit von Chinesisch "assimiliert". Es ist jetzt bis auf ein paar letzte Überbleibsel eine chinesische Sprache.
Umgekehrte Wortstellung (Adjektiv hinter Nomen) wie etwa bei 人客 statt 客人 etwa sind solche Überbleibsel. Das ist aber schon sehr aus der Mode geraten, man sagt jetzt meist 客人.
Im Vietnamesischen ist die Wortstellung auch umgekehrt, da heißt es z.B. nicht 中華人民共和國, sondern 渃共和人民中華 (nước Cộng hòa Nhân dân Trung Hoa).

Als die Kantonesen noch "Barbaren" (南蠻) waren, haben sie sicher kein Chinesisch gesprochen. Als die Chinesen aus dem Norden dann gekommen sind, haben die Kantonesen alle ihre Wörter aufgesaugt, und die meisten ihrer eigenen verdrängt oder angepasst. Im Alltagskantonesischen findet man aber noch viele Wörter die es in mandarin nicht gibt.
Mein Kantonesisch Zeichenwörterbuch, hat neben den gemeinsamen Zeichen noch etwa 200 speziell kantonesische Zeichen. Tatsächlich gibt es noch viel mehr ... dummerweise wird diese plattform nicht mit kantonesischen Zeichen fertig ... hat man sowas schonmal erlebt .. tz
Sonst hätte ich ein paar Beispiele gepostet ...

Ich weiß nicht wie die Kantonesen vor 2000 Jahren gesprochen haben, aber heute ist Kantonesisch natürlich eine chinesische Sprache.
Sprachen tun sich eben nicht nur aufspalten, sondern auch wiedervereinigen.
Eine Sprache kann den gesamten Wortschatz einer anderen Sprache in sich aufnehmen, die eigene Grammatik aber beibehalten, oder Umgekehrt den Wortschatz beibehalten und die Grammatik übernehmen ...
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Re: Kantonesische Schriftzeichen

Beitrag von chrix »

Soweit ich Dich verstehe, stellst Du den nicht-chinesischen Status von Vietnamesisch in Frage, also muß ich nicht mit Matisoff und Konsorten kommen, die eben dieses behaupten. Es mag ja sein, daß die Vorfahren der Kantonesen etwas gesprochen haben, das in Richtung Vietnamesisch geht, nur würde das eben nicht Kantonesisch genannt.

In der Regel wird angenommen, daß Kantonesisch durch die sinitische Wanderung gen Süden seit der Qin- und Han-Zeit dorthin kam, wo es heute ist. Danach mögen einige dort ansässige Volksstämme die Sprache übernommen haben. Ich persönlich denke auch, daß language shift die einfachere Erklärung ist.

Strukturelle Ähnlichkeiten sind kein ausreichendes Kriterium für eine genetische Verwandtschaft zwischen Sprachen. Es muß systematische Lautkorrespondenzen geben. Und hier macht Kantonesisch, anders als Vietnamesisch, eben den Schnitt (soweit ich Matisoff richtig verstehe).
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Re: Kantonesische Schriftzeichen

Beitrag von Sky Darmos »

chrix hat geschrieben:Soweit ich Dich verstehe, stellst Du den nicht-chinesischen Status von Vietnamesisch in Frage, also muß ich nicht mit Matisoff und Konsorten kommen, die eben dieses behaupten. Es mag ja sein, daß die Vorfahren der Kantonesen etwas gesprochen haben, das in Richtung Vietnamesisch geht, nur würde das eben nicht Kantonesisch genannt.
Nein, das habe ich nicht. Du verstehst mich falsch. Wenn dann hab ich eher das umgekehrte gesagt, dass Kantonesisch ursprünglich, also vor sagen wir 2000 Jahren, nicht-chinesisch war.
chrix hat geschrieben:In der Regel wird angenommen, daß Kantonesisch durch die sinitische Wanderung gen Süden seit der Qin- und Han-Zeit dorthin kam, wo es heute ist. Danach mögen einige dort ansässige Volksstämme die Sprache übernommen haben. Ich persönlich denke auch, daß language shift die einfachere Erklärung ist.
Ja, aber dabei kommt es ja auch zu Vermischungen.
chrix hat geschrieben:Strukturelle Ähnlichkeiten sind kein ausreichendes Kriterium für eine genetische Verwandtschaft zwischen Sprachen. Es muß systematische Lautkorrespondenzen geben. Und hier macht Kantonesisch, anders als Vietnamesisch, eben den Schnitt (soweit ich Matisoff richtig verstehe).
Sinokantonesische Wörter haben natürlich eine genaue Lautkorrespondenz. Aber das ist bei den Sinovietnamesischen Wörtern kein bisschen anders.
Ich lerne ja seit einiger Zeit vietnamesisch, und die Töne sind bei den Standard Sinovietnamesischen Lesungen immer genau aus den chinesischen ableitbar.
Es gibt im Vietnamesischen 6 Töne, und die lassen sich eindeutig kantonesischen Tönen zuordnen.

Hier das Schema (die Lesungen in der Reihenfolge: Kantonesisch, Vietnamesisch, Mandarin):

包 baau1, bao, bāo

本 bun2, bản, běn

太 taai3, thái, tài

時 si4, thì, shí

老 lou5, lão, lǎo

話 waa6, thoại, huà


Manche Hanzi haben im Vietnamesischen mehrere Lesungen:

本: bản bộn bủn vỏn vốn bốn bổn

時: thì thà thời thìa

老: lão láu lảo lảu rảu lẩu lẽo lếu

Diese können aber durch Nom Zeichen unterschieden werden:
(da diese Plattform nicht mit seltenen Zeichen klarkommt, stelle ich sie hier zerlegt dar)

1) 本 bản [左多右伴] bộn [上小下本] bủn [左口右盆] vỏn (vồn) [左弓右宛] vốn [上罒下本] bốn 畚 bổn

2) 時 thì thà thìa [上竹下時] thời

3) 老 lão láu lẩu 㧯 lảo [左耳右老] lảu [左口右老] rảu [左水右了] lẽo [左口右了] lếu

Manche Kantonesischen Wörter kommen auch aus dem klassischen Chinesisch, haben sich aber auf unregelmäßige Weise verändert und werden daher mit Sonderzeichen geschrieben, z.B. 我哋 ngo5 dei6 aus klassisch 我等 ngo5 dang2.

Es gibt auch zwei Demonstrativpronomen die Kantonesisch und Vietnamesisch gemeinsam haben, und die Mandarin fehlen:

呢 này = 呢 ni1 (li1, lei1)

[衣省亠] ấy = 伊 ji1 (=yi1)(vermutlich mit 爾 ji5 verwandt)

呢 kommt auch im Thailändischen als "nìi" und "nīi" vor.
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Re: Kantonesische Schriftzeichen

Beitrag von chrix »

Sky Darmos hat geschrieben:
chrix hat geschrieben:Soweit ich Dich verstehe, stellst Du den nicht-chinesischen Status von Vietnamesisch in Frage, also muß ich nicht mit Matisoff und Konsorten kommen, die eben dieses behaupten. Es mag ja sein, daß die Vorfahren der Kantonesen etwas gesprochen haben, das in Richtung Vietnamesisch geht, nur würde das eben nicht Kantonesisch genannt.
Nein, das habe ich nicht. Du verstehst mich falsch. Wenn dann hab ich eher das umgekehrte gesagt, dass Kantonesisch ursprünglich, also vor sagen wir 2000 Jahren, nicht-chinesisch war.
Eben nicht, ich nahm an, daß Du nicht annahmst, daß Vietnamesisch sinitisch sei. Deswegen habe ich das ja noch mal klargestellt.

chrix hat geschrieben:In der Regel wird angenommen, daß Kantonesisch durch die sinitische Wanderung gen Süden seit der Qin- und Han-Zeit dorthin kam, wo es heute ist. Danach mögen einige dort ansässige Volksstämme die Sprache übernommen haben. Ich persönlich denke auch, daß language shift die einfachere Erklärung ist.
Ja, aber dabei kommt es ja auch zu Vermischungen.
[/quote]
Was genau vermischt sich? Sprache vermischt sich in der Regel nicht. Ethnische Gruppen unterlaufen einen Sprachwandel, im Rahmen von langandauernden Sprachkontakt kommt es zu gewissen Beeinflussungen, aber genuine Sprachmischungen sind äußerst selten.

chrix hat geschrieben:Strukturelle Ähnlichkeiten sind kein ausreichendes Kriterium für eine genetische Verwandtschaft zwischen Sprachen. Es muß systematische Lautkorrespondenzen geben. Und hier macht Kantonesisch, anders als Vietnamesisch, eben den Schnitt (soweit ich Matisoff richtig verstehe).
Sinokantonesische Wörter haben natürlich eine genaue Lautkorrespondenz. Aber das ist bei den Sinovietnamesischen Wörtern kein bisschen anders.
[/quote]

Das sieht die Wissenschaft anders. Vietnamesisch hat sehr viele alte Lehnwörter, und deswegen, wie u.a. auch das Thai, wurde es lange als sinitische Sprache angesehen. Aber wie z.B. Matisoff schreibt, man kann an den Übereinstimmungen zwischen Vietnamesisch und anderen sinitischen Sprachen sehen, daß es sich eben um Entlehnung handelt. Niemand bestreitet, daß Vietnamesisch viel aus sinitischen Sprachen entlehnt hat. Aber Entlehnung ist eben nicht das gleiche wie genetische Verwandtschaft.
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Re: Kantonesische Schriftzeichen

Beitrag von chrix »

Noch ein paar Punkte:

1. Systematische Lautkorrespondenzen auch im Grundwortschatz. Dies ist soweit ich weiß beim Vietnamesischen nicht der Fall. Außerdem sind die Lautkorrespondenzen zum Sinitischen zu "perfekt", d.h. es deutet auf Entlehnung hin, während bei genetischer Verwandtschaft auch ein gewisser Lautwandel zu erwarten ist (wie bei den sinitischen Sprachen untereinander).

2. Vorsicht bei Mandarin-Betrachtungen. Mandarin stand selbst unter starkem Sprachkontakt im Norden Chinas und ist in vielerlei Hinsicht typologisch anders als die meisten anderen sinitischen Sprachen. Auch ist es meiner Erinnerung nach Min, das sich als erstes abgespalten haben soll, nicht Kantonesisch. Was Deine Beispiele angeht, was genau willst Du damit aussagen? Es gibt immer die Möglichkeit von Zufallsähnlichkeiten. Ich würde auch nicht so schnell Mandarin-Verwandtschaften ausschließen, denn mir scheint, daß Du Dich hier von der Schrift leiten läßt. U.U. ist 那 ein Kognatum, und was 伊 angeht, ist dies in nachklassischer Zeit als Demonstrativpronomen belegt (ab Han-Zeit). Im modernen Mandarin ist es wohl verloren gegangen.
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Re: Kantonesische Schriftzeichen

Beitrag von Sky Darmos »

chrix hat geschrieben:Eben nicht, ich nahm an, daß Du nicht annahmst, daß Vietnamesisch sinitisch sei. Deswegen habe ich das ja noch mal klargestellt.
Ich hab nie gesagt Vietnamesisch sei sinitisch.
Ich hab nur gesagt dass Kantonesisch ursprünglich nicht sinitisch war, es jetzt aber ist.
chrix hat geschrieben:Was genau vermischt sich? Sprache vermischt sich in der Regel nicht. Ethnische Gruppen unterlaufen einen Sprachwandel, im Rahmen von langandauernden Sprachkontakt kommt es zu gewissen Beeinflussungen, aber genuine Sprachmischungen sind äußerst selten.
Kantonesen sagen ja auch manchmal 我啲 ngo5 di1 anstatt 我嘅 ngo5ge3. Schriftsprachlich wäre 我的 ngo5 dik1. Und 我啲 ngo5 di1 stammt ja offenbar von der betonten Mandarin Aussprache von 的.
Es ist aber ein grundlegender Partikel. Deiner Ansicht dürfte sich auf dieser Ebene nichts vermischen.
Und was die schrift- und gesangssprache angeht: Da ist kantonesisch von klassisch chinesischer Wortwahl und Syntax auf mandarin wortwahl und syntax umgestiegen. Ist das nicht auch ein enormer Wandel?
Und was ist mit der enormen Anzahl der japanischen Entlehnungen im Chinesisch, die machen auch vor dem Grundwortschatz nicht halt.
Schau dir mal die Wortliste hier an:

http://zh.wikipedia.org/wiki/%E5%A4%96% ... 5%E8%AF%AD" target="_blank
chrix hat geschrieben:Das sieht die Wissenschaft anders. Vietnamesisch hat sehr viele alte Lehnwörter, und deswegen, wie u.a. auch das Thai, wurde es lange als sinitische Sprache angesehen. Aber wie z.B. Matisoff schreibt, man kann an den Übereinstimmungen zwischen Vietnamesisch und anderen sinitischen Sprachen sehen, daß es sich eben um Entlehnung handelt. Niemand bestreitet, daß Vietnamesisch viel aus sinitischen Sprachen entlehnt hat. Aber Entlehnung ist eben nicht das gleiche wie genetische Verwandtschaft.
Ja, wie gesagt ist Vietnamesisch nichtsinitisch.

Ich denke aber auch der Begriff der genetischen Verwandtschaft nicht sonderlich nützlich ist. Ich meine wenn man von "indo-germanisch" ausgeht, dann ist ja eh die halbe Welt miteinander verwandt.
Ich halte es auch für ausgeschlossen dass es je eine gemeinsame Ursprache gegeben hat. "Indo-germanisch" ist auch nur ein theoretisches Konstrukt. Sprachen sind nicht wie Lebewesen, sie tun sich nicht nur aufspalten sondern auch vereinigen und vermischen.
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Re: Kantonesische Schriftzeichen

Beitrag von Sky Darmos »

chrix hat geschrieben:Noch ein paar Punkte:

1. Systematische Lautkorrespondenzen auch im Grundwortschatz. Dies ist soweit ich weiß beim Vietnamesischen nicht der Fall. Außerdem sind die Lautkorrespondenzen zum Sinitischen zu "perfekt", d.h. es deutet auf Entlehnung hin, während bei genetischer Verwandtschaft auch ein gewisser Lautwandel zu erwarten ist (wie bei den sinitischen Sprachen untereinander).
Naja, von allem gibt es etwas:

1) Standard Sinovietnamesisch. Hier sind auch die Töne vollkommen regelmäßig.

2) Sinovietnamesisch mit leichten Tonänderungen. Das Schriftzeichen bleibt jedoch das selbe.

3) Leicht Vietnamisierte sinitische Wörter. Auch diese können mit den entsprechenden chin. Schriftzeichen geschrieben werden, um aber zu viele Lesungen zu vermeiden gibt es hier meist spezielle Nom Zeichen mit nur einer Lesung.
In manchen Fällen bleibt das Zeichen auch trotz sehr unterschiedlicher Lesungen gleich. Zum Beispiel gibt es keine Unterscheidungsmöglichkeit für gia und nhà, beides wird 家 geschrieben.
Z.B. in 國家 quốc gia und 渃家 nước nhà.

4) Stark vietnamisierte Wörter. Diese können trotz vermuteter Verwandtschaft nicht mit normalen Hanzi geschrieben werden.
Zum Beispiel wird eine Verwandtschaft von mai (=morgen) und 明 oder 明兒 vermutet, jedoch kann das Wort nur mit dem Speziellen Zeichen [上日下枚] geschrieben werden.
Solche mehr spekulative Verwandtschaftstheorien findet man zuhaufen auf: http://www.vny2k.com/hannom/tunguyen.asp" target="_blank

5) Rein vietnamesische Wörter. Diese machen einen nur relativ kleinen Teil aus und werden/wurden alle mit speziellen Nom Zeichen geschrieben.

Falls du dir die Zeichen anschauen willst, die ich beschrieben hab, dann kannst du bei http://www.nomfoundation.org/index.php?IDcat=51" target="_blank
in dem weißen Feld ein Vietnamesisches Wort eingeben, und dann siehst du die Zeichen in Bildformat, und ganz unter nochmal direkt, etwa für copy&past Zwecke - außer für technisch eingeschränkte Foren wie dieses ^^
chrix hat geschrieben:2. Vorsicht bei Mandarin-Betrachtungen. Mandarin stand selbst unter starkem Sprachkontakt im Norden Chinas und ist in vielerlei Hinsicht typologisch anders als die meisten anderen sinitischen Sprachen. Auch ist es meiner Erinnerung nach Min, das sich als erstes abgespalten haben soll, nicht Kantonesisch.
Ich interessiere mich nicht besonders für Mandarin. Ich spreche zwar meistens Mandarin, aber Interessanter ist für mich Kantonesisch.
Mandarin is ja wohl eher eine Sparversion. Ich kann von Kantonesisch auf die Mandarinsilben schließen, aber nicht umgekehrt. Das zeigt dass auf dem Weg von Kantonesisch zu Mandarin ´ne Menge an Information verlorengeht.
Bei Kantonesisch muss man andererseits bemängeln dass in den letzten 100 Jahren die unterscheidung sh- und s- weggefallen ist.
Ich hab ein altes kantonesisches Wörterbuch in dem es noch Anlaute sh- gibt (ausgesprochen wie Mandarin xi-). Da heißt es dann nicht 顔色 ngaan4 sik1 sondern ngaan4 shik1 (korespondierend zu sh- in mandarin 色 shai3). Eine Minderheit soll sich diese Aussprache noch bewahrt haben.
chrix hat geschrieben:Was Deine Beispiele angeht, was genau willst Du damit aussagen? Es gibt immer die Möglichkeit von Zufallsähnlichkeiten. Ich würde auch nicht so schnell Mandarin-Verwandtschaften ausschließen, denn mir scheint, daß Du Dich hier von der Schrift leiten läßt. U.U. ist 那 ein Kognatum, und was 伊 angeht, ist dies in nachklassischer Zeit als Demonstrativpronomen belegt (ab Han-Zeit). Im modernen Mandarin ist es wohl verloren gegangen.
Personalpronomen und Demonstrativpronomen sind meist austauschbar. Z.B.

爾 1. du, ihr 2. so 3. jener

其 1. sein, ihr 2. er, sie, es 3. dies, solches, jenes

u.s.w.

Oder deutsches Beispiel: dieser/der/er, diese/die/(sie), dieses/das/es

Zu deinem Vorschlag mit 那, das funktioniert nicht.

Thai 呢 nii bedeutet genauso wie kantonesisch 呢 ni1 und vietnamesisch 呢 này, "dies", wärend mandarin 那 na4 "jenes" bedeutet.
Außerdem hat 呢 kein entsprechendes Fragewort, so wie 那/哪 na4/na3.
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Re: Kantonesische Schriftzeichen

Beitrag von punisher2008 »

Sky Darmos hat geschrieben: Ich interessiere mich nicht besonders für Mandarin. Ich spreche zwar meistens Mandarin, aber Interessanter ist für mich Kantonesisch.
Mandarin is ja wohl eher eine Sparversion. Ich kann von Kantonesisch auf die Mandarinsilben schließen, aber nicht umgekehrt. Das zeigt dass auf dem Weg von Kantonesisch zu Mandarin ´ne Menge an Information verlorengeht.
So ähnlich sehe ich das auch :D . Für mich ist Kantonesisch viel reicher, "lebendiger" und interessanter als Mandarin, auch vielseitiger von den Lauten her wie von den Ausdrucksweisen.
Thai 呢 nii bedeutet genauso wie kantonesisch 呢 ni1 und vietnamesisch 呢 này, "dies", wärend mandarin 那 na4 "jenes" bedeutet.
Thai hat doch eine eigene Schrift, oder nicht? Wurden in Thailand früher auch chinesische Schriftzeichen verwendet?
Kantonesisch 呢 hat in Mandarin die Entsprechung 这/這, während für 那 im Kantonesischen 嗰verwendet wird. Also 那个 => 嗰个/嗰個, oder 那里 => 嗰度/嗰便
Außerdem hat 呢 kein entsprechendes Fragewort, so wie 那/哪 na4/na3.
Doch, im Kantonesischen gibt es ein entsprechendes Fragewort, nämlich 边/邊
Hier ein paar Beispiele:
哪里 = 边度 (oft auch verkürzt zu 边; 去哪里? => 去边呀?)
哪个/谁 = 边个
哪些 = 边啲
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Re: Kantonesische Schriftzeichen

Beitrag von Sky Darmos »

punisher2008 hat geschrieben:So ähnlich sehe ich das auch :D . Für mich ist Kantonesisch viel reicher, "lebendiger" und interessanter als Mandarin, auch vielseitiger von den Lauten her wie von den Ausdrucksweisen.
普通話係人造嘅語言梗係無聊啲㗎啦 ~~ :D
punisher2008 hat geschrieben:Thai hat doch eine eigene Schrift, oder nicht? Wurden in Thailand früher auch chinesische Schriftzeichen verwendet?
Nein, ich hab dem thailändischen wort nur das etymologisch entsprechende Schriftzeichen zugeordnet. So wie ich auch tibetisch "nga" als "我" schreiben würde, weil das die etymologische entsprechung ist - vietnamesisch is auch "nga".
punisher2008 hat geschrieben:Kantonesisch 呢 hat in Mandarin die Entsprechung 这/這, während für 那 im Kantonesischen 嗰verwendet wird. Also 那个 => 嗰个/嗰個, oder 那里 => 嗰度/嗰便
Das hast du jetzt aber nicht für mich aufgeschrieben oder?
Ich spreche kantonesisch, meine Frau ist sogar Kantonesin ^^
Ich benutze ein kantonesisches Eingabeprogramm und ich kenne alle Töne.
punisher2008 hat geschrieben:
Außerdem hat 呢 kein entsprechendes Fragewort, so wie 那/哪 na4/na3.
Doch, im Kantonesischen gibt es ein entsprechendes Fragewort, nämlich 边/邊
Hier ein paar Beispiele:
哪里 = 边度 (oft auch verkürzt zu 边; 去哪里? => 去边呀?)
哪个/谁 = 边个
哪些 = 边啲
Du hast mich falsch verstanden: Ich meinte, es gibt kein entsprechendes Wortpaar mit gleichem phonetischen Teil. 那 und 哪 sind gleichen Ursprungs, aber 嗰 und 邊 hören sich sehr verschieden an und sind nicht gleichen Ursprungs.
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