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von MaxKraft » 21.10.2015, 03:46
Hallo zusammen,
ich bin neu hier im Forum und zufällig auf diesen Thread gestossen, der schon etwas älter ist, aber da hier noch rege diskutiert wird, möchte ich als Absolvent einer sinologischen Fakultät auch noch meine Erfahrung teilen.
Zu meiner Vorgeschichte soviel: Ich habe in Deutschland einen medizinischen Beruf erlernt (ich habe mit den Gedanken gespielt, Arzt zu werden), war aber nach dem Abschluss ziemlich entäuscht vom Krankensystem in Deutschland und habe danach ein Gapyear in Australien eingelegt. Dort habe ich meine taiwanische Freundin (mittlerweile meine Frau) kennengelernt, und da Sprachen immer meine Leidenschaft haben, konnte ich mir Englisch ziemlich schnell aneignen und habe dort angefangen, Mandarin zu lernen.
Danach bin ich nach Taiwan gekommen, habe dort eine Sprachschule besucht und nebenbei Deutsch (und leider auch Englisch) unterrichtet. Das alles hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich beschloss, beruflich noch einmal umzusatteln und in Deutschland Sinologie zu studieren, mit dem primären Ziel, Sprachlehrer zu werden.
Während der Studienberatung hat mir ein Professor gesagt, dass "der Schwerpunkt im Studium nicht auf dem Erwerb der Sprache liegt", und damit hat er schon das vielleicht größte Problem mit diesem Studiengang angesprochen: Nach ca. einem Jahr habe ich herausgefunden, dass der Herr sehr übertrieben hat, und dass viele Absolventen kein Wort Chinesisch schreiben oder sprechen können. Meiner Meinung nach ist es ziemlich sinnlos, eine Kultur erforschen zu wollen, deren Sprache man nicht mal ansatzweise beherrscht. Es ist mir klar, dass es sich hier um Chinesisch handelt, und dass man das nicht mal eben schnell in einem Crashkurs lernt, aber viele Studenten konnten nicht einmal eine einfache Konversation führen.
Wo wir beim zweiten Problem des Studiengangs wären: die Studenten. Sinologie ist ein Orchideenfach, für das es keinen NC gibt, und dessen Dozenten froh sind, wenn sich mal jemand in ihre Vorlesungen verirrt, weswegen sie auch jeden einfach "durchwinken" (d.h. ohne große Anforderungen bestehen lassen). Das führt dazu, dass viele Studenten in diesem Fach "parken" und sehr wenig Interesse daran haben (mutmaßliche Gründe sind: Warten auf ein anderes, nc-beschränktes Fach, den Eltern und dem Arbeitsamt einen Studentenstatus vorweisen zu können oder einfach im Winter in einem beheizten Vorlsesungssaal zu sitzen). Während meines Studiums hatte ich den Eindruck, dass ca. 20 bis 30 % der Studenten ernsthaft am Stoff interessiert sind, den anderen war er schlicht und einfach egal. Es dürfte aber dann keinen überraschen, dass man nach 20 Semestern Sinologie ohne jegliche Auslandserfahrungen und Sprachkenntnisse keine besonderen Chancen hat, im Bereich China unterzukommen. Von dem kleinen Teil, der sich reingelegt haben, haben auch alle eine Karriere in diesem Gebiet verfolgt (meistens in der Wirtschaft in Kombination mit Wirtschaftswisschenschaften oder eine Laufbahn an der Uni, aber eben auch exotischere Tätigkeiten).
Das Fach selber war, je nach Dozent und Mitstudierenden, äußerst interessant bis grauenhaft.
Ich persönlich war einer der ersten Bachelorstudenten (mit Linguistik als Nebenfach), habe von einem Master abgesehen (ich war nicht der Meinung, dass mir das noch etwas bringt, und außerdem war ich von den Umstellungsschwierigkeiten des Systems sehr genervt) und wollte partout nicht in der Praktikumsfalle landen. All das hätte mich aus Sicht vieler Karriereberater für die niederen Höllen der unqualifizierten Jobs prädestiniert, ich konnte ihnen jedoch entfliehen. Ich habe mir zuerst einen Nebenjob gesucht, um meine Versicherungen zu zahlen, und habe dann meine Dienste als Übersetzer angeboten. Es dauerte einige Zeit, aber ich bekam dann doch einige lukrative Aufträge, die ich auch zum Wohlwollen des Kunden abgeschlossen habe. Die Aufträge wurden immer mehr, und ich habe irgendwann meinen Job gekündigt.
Jetzt bin ich Vollzeit Freiberufler und arbeite an Chinesisch-Deutsch Übersetzungen und Lokalisierungen für einen Fahrzeughersteller, eine Computerspielefirma und einigen anderen sporadischen Kunden (die meisten Einnahmen kommen jedoch von medizinischen Übersetzungen von Englisch auf Deutsch, für die meine erste Ausbildung relevant ist). Ich bin ganz zufrieden mit meiner Arbeitssituation, da ich immer Freiberufler sein wollte, ich somit in Taiwan und Deutschland arbeiten kann, es mir möglich ist, mich viel um meinen Sohn zu kümmern und ich und meine Frau trotz eines kleinen Kindes ein doppeltes Einkommen besitzen. Es hat ca. 1,5 Jahre gedauert, bis ich genug Kunden für ein ausreichendes Einkommen zusammenbekommen habe, aber jeder, der von Unternehmensführung Ahnung hat, wird besätigen, dass das nicht von heute auf morgen geht. Die Arbeit könnte aber ein bisschen kreativer sein, weswegen ich jetzt auch einen Verlag für die Übersetzung eines chinesischen Klassikers suche. Außerdem wird man ein bisschen neurotisch, wenn man immer zu Hause ist, weswegen ich mir auch noch eine andere Beschäfitgung suchen werde (vielleicht hänge ich noch einen Master in einen anderen Fach dran). Ich hatte auch schon Möglichkeiten einer Festanstellungen, die habe ich aber ausgeschlagen (keine Lust).
Schlechte Berufaussichten des Studienfaches Sinologie würde ich nicht bestätgigen, wie ich das allgemein nicht für Geisteswisschenschaften tun würde. Die Probleme liegen eher an den Studenten selber (da diese Fächer auch immer ein gewisses Klientel anziehen) und an der totalen Gleichgültigkeit der Universitäten bezüglich zukünftiger Tätigkeitsfelder. Wahrscheinlich würde ich aufgrund der oben beschriebenen Gegebenheiten kein zweites Mal Sinologie studieren, ich würde mich aber immer wieder für eine Geisteswissenschaft entscheiden (wahrscheinlich Philosophie). Ich denke einfach, dass man mit einer ungewöhnlichen Ausbildung auch nach ungewöhnlichen Beschäftigungsfeldern suchen muss, und dass ein einfaches Verschicken von Lebensläufen wenig Sinn hat.
Der Eintrag ist jetzt ein bisschen lang, ich hoffe, dass ihn auch jemand zu Ende liest:) Ich musste das aber los werden, es ist sicherlich nicht immer so schlimm, wie alle behaupten.